Freitag, 26. Juli um 5:45 Uhr. Nach monatelangen Vorbereitungen ist es endlich soweit! Wir haben uns in Referaten zu unterschiedlichsten Themen intensiv auf Schottland vorbereitet, als Finanzierungsbeitrag am Giengener Adventsmarkt 2012 Buabaspitzla und Glög verkauft, gelbe Säcke in Elchingen ausgetragen, am Gemeindefest eine Dienstleistungsversteigerung angeboten und am Kinderfest Getränke verkauft. Und nun stehen 23 Pfadfinder mit 2 Leitern voll Erwartung am Bahnhof und warten auf den Zug. Ein letzter Abschied – und los geht’s. Zuerst mit der Regionalbahn nach Ulm und dort in den TGV umgestiegen, um mit bis zu 315 km/h zum Pariser Gare de l‘Est zu brausen. Die Fahrt war gleich die richtige Gelegenheit, damit sich die Tagebuchschreiber für unser Reisetagebuch finden konnten.
Während des über 3-stündigen Aufenthalts wollten ca. 15 der Pfadis unbedingt den Eiffelturm in natura sehen. Also ab in den nächsten Park, der zum Glück gleich ums Eck lag, dort das ganze Gepäck auf einen großen Haufen gelegt (der erste von vielen noch folgenden Gepäckhaufen), 8 Pfadis und Rover zur Bewachung zurück gelassen und ab in die Metro. Fast qualvolle Enge und Aufpassen wie ein Luchs, damit keiner verloren geht. Nachdem Paris doch ein bißchen weitläufig ist, reichte die Zeit gerade noch aus, nach Ankunft an der naheliegendsten Metrostation den Eiffelturm zwar in natura aber doch aus der Ferne zu betrachten, bevor wir wieder zurückfahren mussten.
Vom Park beim Gare de l’Est marschierten wir mit unserem Gepäck (jeder hatte einen großen Rucksack auf dem Rücken und einen kleinen auf der Brust) zum Gare du Nord, um dort um 15:46 Uhr den TGV nach Calais-Frethun zu erreichen. Von Frethun ging es mit einer Regionalbahn nach Calais Ville und dort mit dem Shuttlebus zur P&O-Ferry. Erste Überraschung: Für den Shuttlebus mussten wir nur 15 statt 25 Fahrkarten lösen. Wie sich später herausstellte, war der Busfahrer früher bei den Scouts de France. Am Fährenterminal kam die 1. böse Überraschung: eine Sicherheitsschleuse – und das bei Pfadfindern, von denen jeder mindestens ein Messer dabei hat. Und so war es auch. Die französischen Sicherheitsbeamten ließen uns trotz umfangreicher Messerfunde passieren. Lediglich bei Alex Dolch (das eher einem Schwert glich als einem Messer) mussten wir zu diskutieren anfangen. Aber auch das ging durch. Und das alles unter den „wachsamen“ Augen der britischen Grenzbeamten (In Großbritannien sind diese Messer sicher verboten!). Auf der Fähre genossen wir dann eine frische Brise in der frühen Abendstimmung. Einige von uns tanzten mit etwas angeheiterten Engländern, während ein Schweizer dazu die Geige spielte.
Nach der kurzen Fahrt mit dem Shuttlebus zum Bahnhof schnappten wir in Dover dann den nächsten Zug, den wir – wie sich bei der Fahrkartenkontrolle herausstellte – mit unseren Britrailpässen gar nicht hätten nehmen dürfen. Unter dem Beifall einer mitreisenden Gruppe von englischen Polizisten auf „Betriebsausflug“ erklärte der Schaffner: „ I don’t care“ und ließ uns in Ruhe. Es war schon dunkel, als wir in London St. Pancras ankamen und uns auf den Fußweg nach London Euston machten. Vor dem Bahnhof machten wir wieder einen Gepäckhaufen, ließen eine „Wache“ zurück und die Pfadis durften in Kleingruppen den Bahnhof und das umliegende Viertel erkunden.
Pünktlich um 23:50 Uhr fuhr unser Nachtzug nach Edinburgh ab. Zuvor mussten wir – mal wieder – unsere schweren Rucksäcke in den Gepäckabteilen und Gepäcknetzen so verstauen, dass sie nicht runter fielen und konnten es uns dann in den Liegesesseln bequem machen. Manche schliefen prima, andere kämpften mit dem Gestank von muffligen Füßen, der Zugluft oder dem Zuglärm. Mit kurzer Verspätung kamen wir früh morgens in Edinburgh an und nahmen um 8:57 Uhr den nächsten Zug nach Arbroath.
Kurz vor 10 Uhr kamen wir am Ziel unserer Reise an und wurden von George Still, Pat Elrick, Joan McGregor und Amy … zur Keptie Hall, dem Pfadihaus, begleitet. Dort richteten wir uns für eine Nacht ein, fuhren mit grass-sledges den Hang am Keptie Pond runter und begaben uns dann mit Isomatten in den Victoria Park zum Ausruhen und Muscheln suchen, während sich ein paar Rover von der so plötzlich hereinbrechenden Flut in „Seenot“ bringen ließen. Am Nachmittag ist auch Katrin, die 3. Leiterin, in Arbroath eingetroffen. Sie mußte per Flugzeug nachkommen. Nach der Rückkehr zur Keptie Hall war die größte Herausforderung, alle 26 Pfadis der Reihe nach unter diese eine Dusche zu bringen. Diese Prozedur wurde nur unterbrochen vom Abendessen, das die Schotten für uns kochten. Gegen 23 Uhr hatten wir es endlich geschafft.
Am nächsten Morgen trafen bei starken Regenfällen die schottischen Pfadfinder ein. Nach einer kurzen Einteilung in 5 Koch- bzw. 10 Zeltgruppen bestiegen wir Sandy’s Oldtimer-Bus sowie 2 Kleinbusse und fuhren in das Lager in Glen Prosen. Dort angekommen wurden im strömenden Regen zunächst die dining-shelters der Kochgruppen aufgebaut. Zum Glück ließ der Regen etwas nach, als es um den Aufbau der Zelte ging. Die Koch- und die Zeltgruppen waren komplett durchgemischt: Jüngere und Ältere, Deutsche und Schotten. Die Kochgruppen bekamen die Lebensmittel aus dem Küchenzelt, mussten tea (Abendessen) auf altarfires – also Hochherden mit offenem Feuer – selbst kochen und zu jedem Abendessen 3 Leiter einladen. Abends zum ins Bett gehen gab es noch supper. Am ersten Abend war es Würstle und Wecken, später dann Kaba und manchmal Kekse.
Für den 1. und 2. Lagertag wurden die Pfadis in 4 Gruppen aufgeteilt, die nacheinander vier Aktivitäten machten: pioneering direkt am Lager, hillwalking – also Besteigen des nahe liegenden Ben ??? – sowie mountain biking und gorge walking in Glen Esk. Alle vier Aktivitäten kamen klasse an. Teilweise hatten die Gruppen ein bißchen Wetterpech und wurden im Regen naß. Allerdings wechselt in Schottland das Wetter so schnell, dass alle wieder nach kurzer Zeit trocken waren.
Am frühen Abend gab es inspection einmal der Kochgruppen und dann der Zelte. Das und das eigentlich recht lockere „Strammstehen“ bei der Bannerrunde wurde bei unseren deutschen Pfadis teilweise mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen. Aber wir diskutierten auch über die positiven Seiten der inspections.
Am Abend des 1. Lagertags gab es noch ein campfire – also großes Lagerfeuer mit schottischen Sing- und Bewegungsspielen. Im Laufe des Lagers avancierte „Old Farmer Riley“ zum absoluten Hit bei den deutschen Pfadfindern. Am Abend des 2. Lagertags sorgten wir Deutschen für das Abendprogramm und spielten kurzerhand Völkerball. Zuerst die Kochgruppen in einem Turnier gegeneinander und anschließend alle deutschen gegen alle schottischen Pfadis. Richtige Stadion-Stimmung kam auf, als die einzelnen Teams zunächst ihre Nationalhymne sangen. Das Spiel endete mit knappem Sieg der Schotten.
Durch die Zusammenarbeit in den Kochgruppen kamen die deutschen und schottischen Pfadfinder sehr schnell in Kontakt. Sie waren ja gezwungen, sich zu organisieren, um ihr Essen auf den Tisch zu bekommen. Das war sehr gut – auch wenn es am Ende oft so lief, dass die Schotten das Essen kochten und die Deutschen abspülten.
Jeden Abend haben wir deutschen Pfadfinder eine „Haltestelle“ abgehalten. Dabei haben wir uns für 15-30 min zusammengesetzt und über den Tag gesprochen, wie es dem Einzelnen geht, was gut war und was nicht so gut ankam. Aus Sicht der Leiter war dies ein hervorragendes Mittel, um die Stimmung in der Gruppe aufzufangen, den Tag zu reflektieren und ggfls. ein bißchen steuernd einzugreifen. Die Jungs und Mädels fanden es teilweise etwas langwierig.
Am 3. Lagertag sind wir alle in den Bussen nach Monikie Park gefahren, wo wir uns durch einen Niedrig-Seilgarten kämpfend, an einer langen Seilbahn hängend am Ende beim Floßbau mit anschließender Wettfahrt um eine Piratenfahne vergnügten. Picknick bei herrlichem Wetter und anschließend gemeinsamen Fish ‚n‘ Chips-Essen in Kirriemuir rundeten den Ausflug ab. Im Lager angekommen gab es eine große Überraschung, als sich keine Hüpfburg, sondern eine Riesenrutsche entfaltete sowie ein Boxring, in dem man sich mit überdimensionalen Handschuhen bekämpfte. Die Jungs und Mädels waren stundenlang beschäftigt.
Der 4. Lagertag war regnerisch und neblig. Vormittags wurden wir mit den beiden Kleinbussen in 2 Gruppen zum Elrie Monumental Tower „gekarrt“. Nach einem nicht allzu langem Aufstieg durch den Wald kamen wir am Turm an. Nach Erklimmen der Stufen konnten wir den Blick immerhin bis zum nebligen Waldrand genießen. Aber witzig war’s doch.
Der letzte Lagertag war zum Glück trocken und wir konnten bei Sonnenschein abbauen. Die teilweise feuchten Zelte wurden in Arbroath im Garten von Keptie Hall aufgehängt und trockneten schnell. Nach der Rückkehr nach Arbroath holten die Familien ihre schottischen und unsere deutschen Pfadis zur 2-tägigen homehospitality ab. Diese haben wir schon mit Spannung und teilweise auch mit großer Skepsis erwartet.
Am Samstag Abend traf man sich zu einem ceilidh in der Keptie Hall. Ich war sehr gespannt darauf, ob es unseren Pfadis auch gut geht. Aber diese Sorge war unnötig. Angekommen sind ausnahmslos strahlende Jungs und Mädels. Es war ein wunderbarer Abend mit unseren schottischen Freunden und die passende Gelegenheit, diese für das Jahr 2015 nach Giengen einzuladen.
Am Sonntag Nachmittag trafen wir uns dann wieder in der Keptie Hall zum offiziellen Ende des gemeinsamen Programms. Wir Deutsche übernachteten dort noch zwei weitere Tage.
Am Montag unternahmen wir eine Wanderung entlang der Klippen nach Lunan Bay. Neben Devil’s head, der cathedrale und mehreren Höhlen sahen wir beeindruckende Felsformationen. Nur Lunan Bay, das eigentliche Ziel unseres Ausflugs, erreichten wir nach einem Gewaltmarsch erst kurz, bevor wir wieder zum Bus losmarschieren mussten. Zurück in Keptie Hall empfingen uns die Mädels aus der Corner/McAndrew-Familie mit Kedgeree (Arbroath Smokies mit Reis). Dies war der einzige Tag unserer Reise, an dem die Stimmung wegen des nicht erreichten Ziels fast kippte.
Dienstag früh nach dem Aufräumen und Putzen von Keptie Hall ging‘s mit dem Zug nach Edinburgh, wo wir zuerst in die Jugendherberge marschierten, um unser Gepäck abzuliefern. Von dort ging’s zurück vor die Waverley station, um an einer SightseeingTour durch Edinburgh teilzunehmen. Da in dieser Zeit gerade das Fringe Festival (weltgrößtes Kunstfestival mit ca. 4.000 Aufführungen in 3 Wochen) stattfand, war die Stadt voll mit Leuten. Um den Bus zu besteigen mussten wir zwangsläufig – wie so oft – eine „Schöne Schottische Schlange“ bilden. Nach der Rundfahrt besuchten wir das beeindruckende castle und gönnten uns zum besseren Verständnis auch audio guides. Anschließend wollte ein Teil der Gruppe Our Dynamic Earth besuchen und der andere Teil das Scottish National Museum. Hat leider nicht geklappt, weil beide Museen bereits geschlossen hatten. Dafür besuchten wir zum Abendessen ein italienisches Restaurant. War klasse. Nur für Alex gab’s ein paar Lacher, weil er sich eine große Pizza bestellte, die sich als Riesen-Pizza entpuppte. Während die Jüngeren ins Bett gingen, trieben die Rover noch ein Weilchen ihre Unwesen in Edinburgh.
Am nächsten Morgen marschierten wir mit unserem Gepäck in den Princess Street Garden, wo wir unter Bewachung von Katrin mal wieder einen Gepäckhaufen bildeten. Beim morgendlichen 2. Versuch, Our Dynamic Earth und das Scottish National Museum zu besuchen, klappte es endlich. Nach Rückkehr zu unserem Gepäck gab es noch ein Vesper, bevor wir zum Bahnhof gingen. Letzter Aufenthalt gab es bei den Toiletten vom Princess Mall, die Katrin und Lissy so lange „gefangen“ hielten, dass ich zwischenzeitlich die platform ausfindig machte und unsere Pfadis in unseren fünf kleinen Reisegruppen schon mal vorschickte. Die fünf Reisegruppen bestanden aus je 1 Rover und 3-4 jüngeren Pfadis. Wann immer wir unterwegs waren, teilten wir uns in diese Reisegruppen auf. Die Rover hatten die Aufgabe, die Gruppe zusammen zu halten. Auf diese Weise kamen wir auch durch die größte rushhour, ohne Kinder zu verlieren. Bis wir Leiter beim Zug ankamen, hatten unsere Pfadis sich schon mit den Schaffnern verständigt, das gesamte Gepäck im Gepäckwagen untergebracht und warteten nur noch auf uns Leiter. Klasse! Und keine 5 min später fuhr der Zug um 13:30 Uhr auch schon ab nach London Kingscross.
In Kingscross bildeten wir wieder einen Gepäckhaufen, der unter Bewachung der Leiter zurückblieb, damit die Pfadis sich den Bahnsteig 9 ¾ ansehen konnten (-> Harry Potter). Anschließend ging’s per underground zur Liverpool Street Station, in der wir bis zur Abfahrt unseres Zugs nach Harwich wieder einen Gepäckhaufen bildeten. Die Zeit nutzten wir zum Lebensmitteleinkauf und zur Erkundung des Bahnhofs. Um 20 Uhr kamen wir in Harwich direkt am Stenaline-Terminal an. Diesmal mussten wir warten, bis alle Passagiere durch die Sicherheitsschleuse gegangen waren. Anschließend mussten wir Leiter unser Gepäck scannen lassen, während die Pfadis einfach so durchgewunken wurden. Es hat eindeutig Vorteile, wenn man als Pfadigruppe erkennbar reist! Das Schiff, das uns über Nacht nach Hoek von Holland bringen sollte, entpuppte sich als schwimmendes 5-Sterne-Hotel (zumindest gefühlt). Wir hatten 4-Bett-Zimmer und waren begeistert! Schade, dass die Überfahrt so kurz war.
Direkt nach unserer Ankunft gegen 7:15 Uhr bestiegen wir den nächsten Regionalexpress nach Rotterdam, wo wir über 2 Stunden Aufenthalt hatten. Gepäckhaufen bilden und Gegend erkunden bzw. ein delikates Vesper für den Tag einzukaufen waren selbstverständlich. Über Venlo und Düsseldorf kamen wir mit dem IC um 18:48 Uhr in Stuttgart an. Kaum zu glauben, aber der Zeitraum bis 19:22 Uhr reichte aus, damit fast alle Pfadis sich bei McDonald eindecken konnten. In dieser Zeit blieb lediglich ein kleiner Gepäckhaufen auf dem Bahnsteig zurück.
Nach kurzem Zwischenstopp in Aalen kamen wir pünktlich um 21:17 Uhr in Giengen an. Müde, ein bißchen erschöpft, aber doch völlig entspannt und glücklich. Und nach einem letzten „Old Farmer Riley“, dem obligatorischen und bewegenden „Nehmt Abschied Brüder“ gingen wir heim zum Duschen und Schlafen. Und zum Berichten – von einer Reise, die keiner von uns so schnell vergessen wird. Eine Reise mit einer faszinierenden Fahrt quer durch Europa, mit tollen Eindrücken von Schottland und seinen Menschen und das in einer begeisternden Pfadfindergruppe. Eine Reise, die geprägt hat. Ich habe selten eine Reise erlebt, die so ein gutes Gefühl hinterließ wie unsere Schottlandfahrt 2013. Hoffen wir, dass sich daraus eine lange und intensive Partnerschaft zu den schottischen Pfadfindern entwickeln wird.
26.10.13
Michael Zirn